Pflanzenwachstum braucht Hilfsrezeptoren

Tübinger Biologen entschlüsseln, wie Pflanzenhormone Wachstumssignale weiterleiten

8. August 2013

Wenn man verstehen möchte, wie Pflanzen wachsen, dann muss man sich nicht nur auf die Ebene der Moleküle, sondern auf die der Atome hinabbegeben. Michael Hothorn vom Friedrich-Miescher-Laboratorium der Max-Planck-Gesellschaft in Tübingen tut das: Gemeinsam mit seiner Arbeitsgruppe untersucht er bis ins atomare Detail, wie Pflanzenhormone und ihre Rezeptoren zusammenwirken. Die Wissenschaftler haben entdeckt, dass pflanzliche Membranrezeptoren ein Helferprotein benötigen, um ein wichtiges Wachstumssignal zu erkennen und über die Zellmembran zu leiten.

Der pflanzliche Steroidrezeptor BRI1 zählt zur großen Familie der LRR-Rezeptorkinasen und steht somit exemplarisch für ein Wirkprinzip, das in der gesamten Pflanzenwelt verbreitet ist. "Die Mehrzahl der pflanzlichen Membranrezeptoren zählt zu dieser Familie - bei Algen ebenso wie bei höheren Pflanzen", erläutert Michael Hothorn.

Wie alle Membranrezeptoren erfüllen die LRR-Rezeptorkinasen drei Aufgaben: Sie nehmen molekulare Signale auf, die von außen an die Zelle dringen; sie leiten die Information durch die Zellmembran hindurch; und letztlich veranlassen sie das Zellinnere zu einer Antwort auf das äußere Signal. Im Vergleich zu tierischen oder bakteriellen Rezeptoren, die völlig anders aufgebaut sind, sind die pflanzlichen "Empfängermoleküle" jedoch noch recht wenig erforscht.

Michael Hothorn und seine Mitarbeiter haben nun herausgefunden, dass BRI1 das Steroidsignal nicht alleine erkennen und über die Membran leiten kann. "Bereits beim Empfang des Hormonsignals ist ein zweiter Membranrezeptor beteiligt", erläutert der Tübinger Biologe. Dass dieses als SERK1 bezeichnete Protein für die Wirkung des Wachstumshormons unerlässlich ist, war bereits zuvor bekannt - überrascht waren die Forscher jedoch davon, dass SERK1 bereits ganz zu Beginn des Signalweges ins Spiel kommt und quasi als Helfereiweiß fungiert. Wie die Röntgenstrukturbilder von Julia Santiago, der Erstautorin der Veröffentlichung, zeigen, liegt das Steroidhormon wie ein doppelseitiges Klebeband zwischen den beiden Rezeptoren und bringt sie so in unmittelbare Nähe zueinander. Dadurch können auch die auf der Membraninnenseite liegenden Teile der Rezeptoren miteinander interagieren und eine bereits bekannte Signalkaskade anschalten.

Die bisherigen Analysen deuten darauf hin, dass BRI1 mit mindestens drei unterschiedlichen Hilfsrezeptoren zusammenarbeiten kann, um Wachstum und Entwicklung der Pflanze zu steuern. Umgekehrt kann das Helferprotein SERK1 mit mehreren unterschiedlichen Rezeptoren zusammenkommen, unterschiedliche Liganden erkennen und dann unterschiedliche Wirkungen entfalten. Die Wirkweise der LRR-Rezeptorkinasen folgt somit dem Baukastenprinzip: Allein die Neukombination bereits vorhandener Strukturen reicht aus, um eine große Vielfalt an Funktionen abzudecken.

Wie die Röntgenstrukturaufnahmen zeigen, wird für den Kontakt mit BRI1 und Steroidhormon nur rund ein Zehntel der zugänglichen Fläche von SERK1 benötigt - der Rest steht für die Interaktion mit anderen Rezeptoren zur Verfügung. "Es muss für die Pflanzen ein Vorteil gewesen sein, diese verschiedenen Funktionen in einem Hilfsrezeptor zu bündeln", ist Michael Hothorn überzeugt.

Viel einfacher wäre es aus evolutionärer Sicht gewesen, das Gen, das für den Hilfsrezeptor codiert, immer wieder zu verdoppeln, die Kopien unabhängig voneinander weiterzuentwickeln und so die verschiedenen Funktionen getrennt zu halten. Hothorn erwartet daher, dass die Bündelung durchaus ihren Grund hat: "Die verschiedenen Signalwege beeinflussen sich auf diese Weise gegenseitig", vermutet er. Denn ein Hilfsrezeptor, der gerade einen Signalweg anstößt, kann nicht gleichzeitig einen zweiten Signalweg aktivieren. Solche Wechselwirkungen kennt man bislang hauptsächlich auf der Ebene der Transkription - ganz am Ende der Signalkette. Ob die Wechselwirkung auf Rezeptorebene tatsächlich für die Steuerung von Wachstums- oder Stoffwechselprozessen genutzt wird, möchte Hothorn in weiteren Forschungsprojekten klären.

Die atomaren Modelle, die die Tübinger Forscher von den Rezeptor-Interaktionen erstellen, könnten auf lange Sicht auch der Pflanzenzucht neue Wege weisen. "Wir können nun voraussagen, welche Mutationen welche Wirkung auf die Rezeptorfunktion haben", erläutert Michael Hothorn einen Aspekt seiner Arbeit. Außerdem erlauben die Modelle es, Wirkstoffe zu entwerfen, die die Wirkung des jeweiligen Hormons imitieren oder blockieren. Solche Designermoleküle sind vor allem für die Grundlagenforschung an Pflanzen dringend nötig, aber sie könnten langfristig auch zur Kontrolle des Wachstums von Nutzpflanzen eingesetzt werden.

MH/HR

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